MICHAEL LÖSEL . Wort, Spiel und Musik
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Mitteilungen des Pegnesischen Blumenordens, Mai 2014

Dem Andenken an Wolf Klaußner: „Wolfsmilch“

Der Wolf-Klaußner-Abend in Lichtenau war in jeder Hinsicht denkwürdig. Gegen Ende muß es jedem klar geworden sein, daß Wolf Klaußners Texte würdig sind, darüber nachzudenken; daß es nötig sei, poetische Texte zu lesen, um menschenwürdig zu denken; daß eine würdige Feier zum Andenken eines viel zu wenig Beachteten in ungewöhnlicher Weise zu denken gegeben hat. Der deutliche Aufruf zum Lesen, von der Rampe als logische und zündende Folge dieses fast dreistündigen Spektakels zuletzt gerufen, hat vielleicht nicht die erreicht, welche nur aus Neugierde und Lokalpatriotismus gekommen waren, aber bestimmt die Gelegenheitsleser und selbstverständlich die Lesesüchtigen. Es war gut, dass deren Gemeinde nicht völlig unter sich war, obwohl es dem Publikum nicht leicht gemacht wurde.

Michael Lösel hat aus den beliebten Museenlesungen schon einmal eine szenische Folge entwickelt, als es sich verbot, im "Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände" bloß von Scheußlichkeit zu Scheußlichkeit zu wallen und dabei inkommensurable Worte abzusondern. Danach war klar, dass man in Lichtenau und noch dazu mit Klaußners Texten nicht erwarten durfte, ein Lesepult mit Lämpchen zu sehen und von wechselnden Getönestimmen Besinnliches vorgelesen zu bekommen. Entstanden ist eine neue Gattung der Literaturvermittlung, nicht weniger als das.

Man erlebte ein Ineinander von distanziertem und dennoch einfühlendem und mitgestaltendem Lesen, ausgelöst durch gesprächsweisen Austausch dreier Personen, interpunktiert von musikalischen Einlagen. Kurzweil war geboten, daher gingen in der Pause (die schon ziemlich spät am Abend war) nur wenige, obwohl die geradezu oberseminaristische Debatte den meisten über den Kopf hinweg geschossen sein muss. Man soll es den Leuten aber nicht leicht machen! Die abgetakelte Methode, sie da abzuholen, wo sie sind, hat nur dazu geführt, dass Bildung als solche, ohne dass man sie irgendwie verwerten kann, nicht mehr geschätzt wird.

Michael Lösel erntete den meisten Szenenapplaus für sein gekonntes Gitarrenspiel samt den von ihm verfassten Chansontexten, passgenau in den Abend eingefügt. Die Verwendung der amerikanischen Klänge im fränkischen Dichterumfeld entsprach der Tatsache, dass Wolf Klaußner seinen Lebensunterhalt als Englischlehrer verdiente. Holger Trautmann agierte mit ungemein varitationsreicher Stimme und deutlichster Artikulation. Von Günter Körner, der scheinbar ohne Aufwand die ideale Ergänzung zu den anderen beiden Sprechertypen bot, hat offenbar auch an inhaltlichen Bausteinen der Debatte einiges beigesteuert.

Was auf der Bühne zu sehen war: Ein Tisch mit Stühlen, wie in einer Bauernwirtschaft kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Ein weiterer Tisch mit Säuflichem weiter hinten, ein Kleiderständer. Ein Stuhl vor einem Notenpult, neben dem auf ihrem Gestell die Gitarre meistens ruhte. Die Aktion: Sprechen, debattieren, saufen; die Typen: scheinbar unscheinbare Menschen in legerer Kleidung und mit entspannten Umgangsformen, die aber ungeheuer Kluges von sich gaben, wenn sie nicht gerade soffen. Wäre in den Flaschen nicht Wasser gewesen statt "Zwetschger", wären sie bald lallend quer über die Bühne getaumelt. Die Frage ist, ob das nötig war, doch: Es kommt in Klaußners Texten reichlich vor, und selber war er leider auch nicht gerade abstinent. Weitere politische Unkorrektheit: Auf der Bühne wurde gelegentlich geraucht! Das ist allmählich schon wieder erfrischend, obwohl man früher gesagt hat, als das allgemein der Fall war: Wenn ein schlechter Schauspieler nicht weiß, was er mit seinen Händen anfangen soll, raucht er.


Klaußners Texte selbst sind, oberflächlich betrachtet, getragen von der Spannung zwischen einer sentimentalen Sehnsucht nach Sozialismus und andererseits eiskalt-elitärem, klassischen Kulturbewusstsein, eingebettet in ziemlich reißerische Handlungsverläufe samt wunderschönen Landschafts- und derb-realistischen Milieubeschreibungen des ländlichen Raumes, höchstwahrscheinlich des Lichtenauer, denn von hier stammt er. Kein Wunder, sollte man meinen, dass man seine Werke in Kreisen, welche die literarische Hochkultur lieben, noch nicht recht wahrgenommen hat.

Aber unter der Oberfläche! Und die haben unsere verdienstvollen Darsteller auf das penibelste aufgebohrt. Stilbrüche zwischen Alltagsfloskeln als Schmiermitteln des Gesprächs und Geistesblitzen in sorgfältigster Formulierung ließen einen nicht zum beschaulichen Zuhören mit überm Bauch gefalteten Händen kommen. Ausgehend vom Ich in der Poesie und seinen konstruierten bzw. biographisch vermittelten Bezügen ins Historische, Politische, Mythische erschlossen sich die Klaußnerschen Textpassagen, wie sie dem ungewarnten Leser nie so tief erscheinen könnten. Und zur Höhe hin: Die Bezüge zu den Leseerlebnissen aus Christoph Martin Wieland, Jean Paul, Edgar Allan Poe, James Joyce, Arno Schmidt und vielen anderen Autoren der meist vernachlässigten zweiten Reihe zischten den Zuhörern bloß so um die gebeutelten Ohren. Allmächt, des solld ich alles glesen hom! Ja, gute Leute, ihr habt es hier mit einer stolzen Weg-da-du-Pöbel-Haltung zu tun, die vielleicht auf dem Wege der snobistischen Faszination einzig in der Lage ist, die noch nicht ganz Verblödeten wieder ins Lager der kundigen Leser zu ziehen. (Übrigens gibt es sehr wohl den Millionärs- und Technokraten-Pöbel, vom Sportfunktionärs-Pöbel gar nicht zu reden.) Echt Arno Schmidt, wenn's nicht auch von Klaußner so gesehen würde.

Klaußners Schwächen sind in ästhetischer Hinsicht Stärken, weil sie dem Leser oder Hörer für seine schlummernden Phantasiebedürfnisse Zucker geben und die erdichteten Personen und Vorgänge mit expressionistischer Schärfe ins Relief treiben: Allmachtsphantasien, nicht ohne Grausamkeit gegenüber denen, die "es verdient haben"; geschlechtliche Phantasien von Enthemmung und beinahe unbeschränkter Lust; Phantasien des Reichtums-im-Mangel; geheimnisvolle Rückzugsorte in Räuber-und-Gendarm-Situationen - letztere aber haben leider zeitgeschichtliche Plausibilität. Das tiefbraune Westmittelfranken kriegt seine verbalen Prügel, da wurde Michael Lösel auch mal richtig laut: schließlich hat man Klaußner in seinem Heimatort lange nicht gemocht, weil er zu deutlich - und mit durchsichtiger Personenzeichnung! - dargestellt hat, was es da für Nazi-Umtriebe gegeben hat.

Dass drei Mitglieder des Pegnesischen Blumenordens in einer Hommage auf das verstorbene Mitglied Wolf Klaußner am Ende geradezu eine Apotheose des Ordens und seines bezügereichen Irrhains bieten, war zwar nach den zahmen Einleitungsworten des derzeitigen Ordenspräses nicht zu erwarten, aber erschien dann doch zwingend. Der Orden hat zu danken. Das Publikum sowieso. Und hoffentlich wird die mit viel Liebe und Mühe vorbereitete Aufführung noch mehrmals über verschiedene Bühnen gehen. Das Textbuch dazu ist vorsorglich schon erstellt und kann erworben werden.

Werner Kügel, 21. 03. 14


Erinnerungen an einen fränkischen Literaten

Das Drei-Personen-Lesestück "Wolfsmilch" in der alten Turnhalle Lichtenau
Fränkische Landzeitung, 26.03.2014



Ehrung für einen fränkischen Klassiker

Nürnberger Nachrichten, 31.03.2014